Ein Supermarkt ohne Verpackung – Zwischen Vision und logistischer Herausforderung
Einleitung: Verpackungsfreiheit als neues Normal?
Was zunächst wie ein ambitioniertes Experiment klingt, wird in Frankreich bereits Realität: „Le Super Tout Nu“ – der erste Supermarkt im Land, der vollständig auf Einwegverpackungen verzichtet. Kein Pop-up, keine PR-Aktion, sondern ein durchdachtes Geschäftsmodell mit eigener Logistik, Pfandsystem und einem Sortiment von über 2.000 Produkten. Ziel ist es, verpackungsfreies Einkaufen vom Nischenprojekt in die Alltagsroutine zu überführen. Der Ansatz ist konsequent: wiederverwendbare Glasbehälter für Trockenwaren, Nachfüllstationen für Hygiene- und Reinigungsprodukte, Baumwollbeutel statt Plastikfolien und ein Pfandsystem, das Kund:innen pro zurückgegebenem Behälter mit einem kleinen Rabatt belohnt. Doch wie praktikabel ist dieses Modell – insbesondere mit Blick auf Skalierung, Digitalisierung und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz?
Nachhaltigkeit braucht Struktur – und Technologie
Die ökologischen Vorteile liegen auf der Hand: Laut Betreiberangaben spart der Markt jährlich über eine Million Einwegverpackungen und rund 2.400 Tonnen CO₂ ein. Zudem stammen etwa 60 % der Produkte von regionalen Produzenten – ein weiterer Beitrag zur Reduktion von Transportemissionen und zur Stärkung lokaler Wertschöpfungsketten. Doch dieser Idealismus hat seinen Preis: Die aufwändige Mehrweglogistik, Rückführungssysteme und hygienische Reinigung der Behälter verursachen höhere Kosten, die sich im Preisniveau widerspiegeln. Hinzu kommen logistische Herausforderungen wie Glasbruch, Lagerplatz für Rückläufer und die Komplexität bei der Frischwarenversorgung ohne Plastik.
Hier zeigt sich das Potenzial von Digitalisierung – insbesondere durch KI-gestützte Lösungen. Systeme zur Nachfrageprognose könnten dazu beitragen, Überbestände und Transportwege zu minimieren. Rücklauflogistik lässt sich durch Sensorik, Tracking und automatisierte Sortierung effizienter gestalten. Auch Reinigungszyklen der Behälter könnten durch KI überwacht und angepasst werden, um sowohl Hygienevorgaben zu erfüllen als auch Ressourcen zu schonen. Diese Technologien existieren bereits im industriellen Kontext – sie müssten jedoch gezielt auf die Anforderungen nachhaltiger Stadtsysteme übertragen werden.
Kundenerlebnis im Fokus – aber mit neuen Anforderungen
Die Reaktionen der Kundschaft sind überwiegend positiv: Mit 4,6 von 5 Sternen in Online-Bewertungen wird insbesondere die Transparenz regionaler Lieferketten, das spürbare Müllaufkommen und das gute Gefühl beim Einkaufen hervorgehoben. Gleichzeitig verlangt das Konzept ein Umdenken: Weg von der gewohnten Convenience, hin zu mehr Eigenverantwortung. Kunden müssen bereit sein, Behälter zurückzubringen, Routinen zu verändern und neue Einkaufswege zu akzeptieren. Hier kann digitale Nutzerführung, etwa über Apps mit Erinnerungsfunktionen, Belohnungssystemen oder individualisierten Einkaufslisten, die Akzeptanz deutlich erhöhen.
KI als möglicher Game-Changer für nachhaltigen Einzelhandel
Die deutsche Zero-Waste-Landschaft besteht derzeit meist aus kleinen Läden mit eingeschränktem Sortiment und wenig digitalem Unterbau. Ihre Skalierbarkeit ist begrenzt, oft mangelt es an effizienter Infrastruktur. „Le Super Tout Nu“ könnte als Prototyp einer neuen urbanen Logistik fungieren – vorausgesetzt, es gelingt, operative Prozesse mithilfe intelligenter Systeme zu optimieren. Dabei geht es nicht nur um Verpackung als Problem, sondern um die Art und Weise, wie wir sie organisieren, zurückführen und in Wirtschaftskreisläufe integrieren. KI hat das Potenzial, diese Prozesse auf ein neues Niveau zu heben – sowohl ökologisch als auch ökonomisch.
Fazit: Zwischen Pioniergeist und Digitalisierungslücke
„Le Super Tout Nu“ beweist, dass ein verpackungsfreier Supermarkt funktionieren kann – aber nur mit klaren Strukturen, hoher Kundenbindung und langfristiger technischer Unterstützung. Die wahren Herausforderungen liegen nicht in der Philosophie, sondern in der Umsetzung. Für den nächsten Schritt – die Skalierung – braucht es mehr als Idealismus: Es braucht ein solides digitales Fundament, in dem KI eine Schlüsselrolle spielt. Denn der Weg zur nachhaltigen Stadtlogistik beginnt nicht im Supermarktregal, sondern in der intelligenten Steuerung dahinter.